Aus: Brockhaus Konversations-Lexikon, 14. Bd., Ausgabe 1886

Simrock, Karl, deutscher Dichter und Germanist, geb. 28. Aug. 1802 in Bonn, widmete sich seit 1818 auf der Universität daselbst rechtswissenschaftlichen Studien, die er 1822 in Berlin fortsetzte. Im Jahre 1923 trat er als Auskultator in preuß. Staatsdienst und wurde 1826 Referendar. Ein Gedicht auf die franz. Julirevolution führte seine Ausschließung vom preuß. Staatsdienst herbei. S. lebte seitdem seinen literarischen Neigungen zu Bonn, wo er sich später an der Universität habilitierte, 1850 auch die ord. Professor der altdeutschen Literatur erhielt und am 18. Juli 1876 starb.
Wie kein anderer lebte er sich dichterisch in die mittelhochdeutsche Literatur ein und setzte die hervorragendsten Erscheinungen derselben teils in die heutige Sprache um, teils lieferte er selbständige Nachdichtungen. Seinen literarischen Ruf begründete er mit der Übertragung des Nibelungsliedes (Berl. 1827; 40. Aufl. Stuttg. 1880). Vortrefflich ist die Übersetzung Walthers von der Vogelweide (2 Bde., Berl. 1833; 7. Aufl. Lpz. 1883), deren Kommentar er mit Wackernagel gemeinschaftlich bearbeitete. Ferner sind hervorzuheben die neuhochdeutschen Übersetzungen des "Armen Heinrich" (Berl. 1830; 2. Aufl. 1875) des Hartmann von Aue, des "Parzival" und "Titurel" (Stuttg. 1842; 6. Aufl. 1883) von Wolfram von Eschenbach, des "Tristan" (Lpz. 1852; 2. mit einem Schluß vermehrte Aufl. 1875) von Gottfried von Straßburg, des "Wartburgkrieg", der "Minnelieder" usw. . Diesen Dichtungen der mittelhochdeutschen Zeit reihten sich die gelungenen Übersetzungen der "Edda"(Stuttg. 1851; 6. Aufl. 1876), des "Beowulf" und des "Heliand" (3. Aufl. Berl. 1882) an. Freier bewegte sich S. in der Bearbeitung des "Guten Gerhard" nach Rudolf von Ems (2. Aufl., Stuttg. 1864), wie schon früher in "Salomon und Morolf"(Berl. 1839). Unter S.s. selbständigen Nachdichtungen nimmt das von frischem poetischen Geiste durchdrungene Epos "Wieland der Schmied" (Bonn 1835) den ersten Rang ein. Eine poetische Darstellung der gesamten deutschen Heldensage, teils durch Übersetzungen, teils durch eigene Dichtungen, bot er in dem "Heldenbuch" (6 Bde., Stuttg. u. Tüb. 1843-49), welches die "Gudrun", die "Nibelungen" (welches durch "Wieland der Schmied" eröffnet wird) umfaßt.
Unter S.s wissenschaftlichen Leistungen sind besonders das "Handbuch der deutschen Mythologie" (Bonn 1853-55; 5. Aufl. 1878) nebst einigen kleineren Schriften zur deutschen Mythologie und die Abhandlung "Über die Nibelungenstrophe" (Bonn 1858) hervorzuheben. Viele Anerkennung fanden "Die Rheinsagen" (9. Aufl., Bonn 1883), "Deutsches Kinderbuch" (3. Aufl. Frankf. 1879), "Deutsche Märchen" (Stuttg. 1864) und vor allem die von ihm veranstaltete Ausgabe der "Deutschen Volksbücher", von welcher 1839-67 (anfangs zu Berlin, dann zu Frankfurt) 55 erschienen sind. Diesen schließt sich der gelungene Versuch einer Herstellung des Puppenspiels von Dr. Faust (Frankf. 1846) an. Überdies sind von S.s Beiträgen zur Kunde der älteren deutschen Literatur noch zu nennen: "Lauda Sion" (Köln 1850), eine Übersetzung der besten altchristl. Kirchenlieder, und die "Deutsche Sionsharfe" (Elberf. 1857), eine Sammlung der besten älteren deutschen geistlichen Lieder. Die deutsche Shakespeare-Literatur hat er durch die von ihm mit Echtermeyer und Henschel herausgegebenen "Quellen des Shakespeare in Novellen, Märchen und Sagen" (3 Bde., Berl. 1831; 2. Aufl. , 2 Bde., Bonn 1870) und eine Übertragung der "Gedichte" Shakespeares (Stuttg. U. Tüb. 1867), sowie einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Dramen (Hildburgh. 1866 fg.) bereichert. Seine Gedichte (Lpz. 1844; neue Auswahl, Stuttg. 1863) enthalten manches frische Lied, sowie echte Romanzen und Balladen. Vgl. N. Hocker "Karl Simrock" (Lpz. 1877).

Sekundärliteratur:
Nikolaus Hocker: Carl Simrock. Sein Leben und seine Werke, Leipzig 1877
Walther Ottendorff-Simrock: Das Haus Simrock, 2. erw. Aufl., Ratingen 1954
Hugo Moser: Karl Simrock, Universitätslehrer und Poet. Germanist und Erneuerer von "Volkspoesie" und älterer "Nationalliteratur". Ein Stück Literatur-, Bildungs- und Wissen- schaftsgeschichte des 19. Jahrhundert. Academica Bonnensia, Bd. 5, Bonn 1976.